Berliner Morgenpost, 3. September 1986: Kunstwerke und Portraits zur Mauer


Tageszeitung „Die Welt“ 9. September 1986

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(Text Tagesspiegel)
Gruselkabinett, quietschbunt (1986)Politpop nach US-Verschnitt: Claus Hebell in der Galerie Dimension

Wer bisher annahm, nur mit Pfadfindertalenten oder Telefonnotgroschen zu ortende Off-Galerien seien ausschließlich allein in Bezirken wie Kreuzberg oder Prenzlauer Berg beheimatet, irrt. Eine solche Adresse findet sich neuerdings auch in der Wilmersdorfer Shoppingmeile. Trotz anspruchsvoller Kunstlage lässt sich dort eine Galerie betreiben. Ein unerschrockenes Gemüt und ein weitläufiger Trockenboden reichen dazu aus.
In einem solchen Hinterhofversteck bietet die Galerie „Dimension“ Politpop in Öl und Spray. Superironisch, aufgehübscht international und vor allem bunt präsentiert sich dort ein Kreis namhafter Politikerköpfe. Der Maler Claus Hebell versammelt auf seinen Leinwänden von Bush bis Weizsäcker, Genscher, Noriega oder Teng alles an Tagesschauprominenz, was im Stil konzentrierten Pop-Verschnitts Wiedererkennungswert verspricht.

Seine Farbkompositionen in Polyacryl lassen jedes Osterei erblassen. Kohl zeichnet sich durch quittegelbe Hautfarbe, Gorbatschow durch schlumpfblaue Erscheinung aus. Frau Süssmuth kommt mit Glitzersternchen garniert daher und Boris Jelzin bekaommt ein in neonpink glitzerndes Makeup verpasst. Willi Brandt teilt mit Richard von Weizsäcker das Schicksal wie unter einer Schönheitsmaske aus Spinatbrei gepackt zu erscheinen. Aber nicht allein Ästhetik, sondern psychologische Tiefenschlüsse soll der Betrachter darin sehen, so scheint es. Etwa so: Kohl ist schon speiübel? Oder: Brandt fühlt sich bei der Frage nach den Kosten der Wiedervereinigung wirklich ziemlich schlecht. Es geht nichts über Realsatire, aber selbst vor einem Bild mit dem Titel „Mutti Goebbels hält ihrem Schäferhund eine Rede“ oder vor dem Portrait des letzten Maueropfers schreckt Hebell nicht zurück. Spätestens hier mutiert das Unternehmen zur Rocky-Horror-Picture-Show vom Format eines B- bis C-Picture, ein quietschbuntes Gruselkabinett verlassen von allen Geistern eines wie immer gearteten „guten Geschmacks“.
Galerie Dimension, Wilmersdorfer Straße 77, täglich 10-20 Uhr bis 14. Januar.
Kohl und Brandt