„Zünglein“ (Poli­ti­sche Archäo­logie)

„Zünglein“ (Poli­ti­sche Archäo­logie)

Genschman

Hebell-5

Titel:
Zünglein
Maße:
99 x 130
Künstler / Ort / Datum :
C. Hebell, Berlin 2009
Material Bild / Rahmen:
Spray, Öl auf Leinwand

Beschreibung:

Zünglein war ein bekannter Logiker, der bis in die 90er Jahre das Schicksal der Bundesrepublik mitbestimmte, weil er nichts Wesentliches zu sagen hatte, jedoch die unvergleichliche Fähigkeit besaß, dies in endlosen Tiraden zu verstecken. Seine Partei, die sich einem verbohrten Neoliberalismus verschrieben hatte, koalierte, da sie nicht den Funken eines glaubwürdigen Programms besaß, je nach Wahlausgang mit Lagern, die einander vollkommen unversöhnlich gegenüberstanden. Diese Ironie der Verhältnisse kümmerte Zünglein nicht. Im Gegenteil: er schien sich diebisch über die Dummheit der Wähler zu freuen, die seiner winzigen Partei eine Macht bescherten, von der große Volksparteien nur träumen konnten. Auf dem Höhepunkt seiner Bundeskarriere erinnerte seine Gesichtsbildung daher an eine Mischung aus Schweinchen Schlau und Fuchs, du hast die Gans geholt.
Wenn er den Mund öffnete, wusste man, jetzt kommt etwas zwischen Baum und Borke: Einerseits und andererseits, andererseits aber auch einerseits. Und dann wieder umgekehrt und immer so weiter. Da die Bundesrepublik im geopolitischen Clinch die Macht eines Gartenzwergs besaß, hatte Zünglein eine Meisterschaft darin entwickelt, die Verzwergung in einem endlosen Blahblah zu begutachten. Keinem anderen Politiker der nuklearen Dämmerung dürfte es gelungen sein, den hochpotenten Blasen-Sprech zu einer solchen Perfektion zu entwickeln. Hatte er eine dieser Reden zu Ende gehalten, wusste man: Alles ist gleich, der Laden läuft, die Partei fällt morgen wieder um.
Wirkte Zünglein wirklich mit erstaunlicher Beharrlichkeit und überwältigender diplomatischer Force an der Überwindung der europäischen und deutschen Teilung mit? Es gibt Leute, die das behaupten. Wer’s glaubt, wird selig. Das Bild (90 cm x 135 cm, Öl auf Leinwand) hing eine Weile in einer Galerie, deren Name nicht genannt wird, weil der Maler sonst Schwierigkeiten juristischer Art bekommen könnte. Der Galerist behauptete, ein Mitglied der Zünglein-Partei habe es für ein paar Tage ausleihen wollen, nicht gekauft, aber auch nicht zurückgebracht. Der Maler war nicht in der Lage, den Galeristen dazu zu bewegen, Nachforschungen anzustellen, die zur Wiederauffindung des Bildes hätten führen können. Insofern ist der Kopf perduto. Wie ja auch die Partei, zu der er gehörte.

 

 

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